1563-2013
450 Jahre
Alter Südlicher Friedhof
1563-2013
450 Jahre
Alter Südlicher Friedhof
Und täglich grüßt der
„Alte Südliche Friedhof“
Es ist ein warmer Sommertag. Auf dem Heimweg von einer Abendveranstaltung nähere ich mich mit dem Fahrrad, von der Waltherstrasse kommend, der Thalkirchner Strasse. Beim Einbiegen in die Thalkirchner Strasse, wird es plötzlich angenehm kühl. Die Kühle kommt vom Alten Südlichen Friedhof mit seinen großen Bäumen, eine der größten zusammenhängenden Grünflächen im Innenstadtbereich. Das hat einen großen positiven Einfluss auf das Mikroklima, und als Anwohner profitiere ich davon in mehrfacher Weise. Fast täglich nutze ich die gute Luft im Friedhof, beim Spazieren gehen, beim Joggen und im Winter schon mal zum Langlaufen.
Von meinem Wohnzimmer im vierten Stock über der Thalkirchner Strasse sehe ich auf den Durchgang, der den alten Teil des Friedhofs vom neuen Teil trennt. Der Blick aus dem Fenster bietet wechselnde Ansichten mit dem Tageslauf und immer wieder anderen Stimmungen mit dem Wetterwechsel und den Veränderungen der Vegetation im Jahreskreislauf. Die kahlen Äste unterbrochen von den weißen Schneeflächen im Winter, die noch alle Einblicke bieten, ziehen im Laufe des Frühjahrs einen immer dichter werdenden Vorhang aus verschiedenen Grüntönen zu. Dieser Vorhang hält sich den Sommer über, bis er im Herbst die Farbe ins rote, gelbe und bräunliche wechselt und dabei immer lichter wird und wieder mehr und mehr Einblicke gewährt.
Diesem panoramatischen Erleben des Friedhofs aus dem Fenster des heimischen Wohnzimmers steht das unmittelbare Erleben gegenüber, wenn ich mich über die Strasse in den Friedhof begebe. Dabei ist es nicht nur die gute Luft, die anzieht. Trotz des Verkehrslärms außerhalb der Friedhofsmauern taucht man im Friedhof fast in die sprichwörtliche Friedhofsruhe ein und hört nur mehr das Vogelgezwitscher. In der Nähe des Springbrunnens weichen alle anderen Töne zurück und man wähnt sich endgültig im Reich der Natur. Unterstützt wird das durch das viele Grün der Bäume, des Efeus, der reichlich spießt und durch die wilden Gräser und Blumen in den Wiesenflächen. Auch hier ändert sich das Erscheinungsbild fast täglich mit dem Jahreslauf.
Kaum ist der letzte Schnee weggeschmolzen, spitzen bereits die ersten Schneeglöckchen und kurz danach auch schon die Krokusse aus dem Boden. Dies geschieht aber nicht vereinzelt oder in Beeten, sondern so flächendeckend in den Wiesen, dass der Boden stellenweise wie ein lila-bläulicher Teppich erscheint. Aus diesem Teppich ragen kurz darauf schon die weißgelben bis orangegelben Blüten der Narzissen zwischen den Gräbern auf und setzen büschelartige Farbpunkte. Sie ergänzen die auf manchen Gräbern kultivierten oder wild nachwachsenden Blumenarrangements zu einem farbigen Gesamtbild. Vereinzelt oder auch in größeren flächenhaften Gruppen findet sich auch das Blausternchen, das Buschwindröschen und Schlüsselblumen. Im April dann wachsen größere Flächen mit maiglöckchenartigen Blättern. Dass dies aber keine Maiglöckchen sind sagt mir mein Geruchssinn. Denn es liegt ein leichter Duft von Knoblauch über dem Friedhof. Tatsächlich ist es Bärlauch, der sich hier ausbreitet. Als Anwohner kann man sich so das ein oder andere Gericht mit frischem Bärlauch kulinarisch aufbessern.
Sind die weißen Blüten des Bärlauchs verblüht, kommen langsam die Sommergewächse: Sauerampfer, Wegerich, Margeriten, Wiesenglockenblumen und sogar einige Walderdbeeren. Von soviel Natur profitieren auch viele Tiere, die man im Alten Südlichen Friedhof aus nächster Nähe beobachten kann. Besonders auffällig sind da natürlich die possierlichen Eichhörnchen, die man bei ihren flinken Bewegungen am Boden genauso beobachten kann wie bei ihren Kletter- und Flugkünsten, wenn sie von Baum zu Baum unterwegs sind. Den Luftraum teilen sie sich mit den vielen Vögeln, die den Friedhof bevölkern. Immer wieder einmal beobachten kann man die eher seltenen Schwarz- und Buntspechte, zumal sie durch ihr lautes Hämmern an den Bäumstämmen lautstark auf sich aufmerksam machen. Auffällig auch der Kleiber, der als sogenannter Baumläufer Stämme und Äste rauf und runterlaufen kann.
Ist man in der Dämmerung unterwegs und hört ein Rascheln aus den Büschen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es sich um einen Igel handelt. Blickt man in der Sommerdämmerung nach oben erkennt man Flugobjekte aus der Gattung der Fledermäuse. Dies wiederum läßt Rückschlüsse darauf zu, dass das Nahrungsangebot an Insekten reichhaltig und vielfältig sein muss.
Auch nach den vielen Jahren, in denen ich im Alten Südlichen Friedhof nahezu täglich unterwegs bin, gibt es bei fast jedem Besuch eine neue Entdeckung auf Grabsteinen zu machen: ausgefallene Berufsbezeichnungen, früher benutzte Schreibweisen deutscher Wörter oder Kurzabrisse von ganzen Lebensläufen. Spannend ist es auch, alte Schriften zu entziffern, teils, weil sie schon halb verwittert sind, teils weil die kunstvoll in Stein gehauenen Schriften ineinander verwoben sind. Oder Namen von Persönlichkeiten zu entdecken, die mir bisher nur als Namensgeber einer Strasse in München bekannt waren. So geben sie den Anstoß, sich mit der Geschichte des Namensgebers zu befassen. Für mich besonders interessant ist es festzustellen, dass es zwischen den bekannteren Persönlichkeiten vielfältige Beziehungen gab. So wird dann Geschichte wieder lebendig.
Lebendig wird der Alte Südliche Friedhof aber auch durch die vielfältigen kulturellen Angebote. Ein immer breiteres Publikum erfreut sich der musikalischen Darbietung der Turmbläser von St. Peter. Alljährlich von der Städtischen Friedhofsverwaltung beauftragt, bringen sie am Nachmittag des Heiligen Abend für eine halbe Stunde eine weihnachtliche Stimmung in den Friedhof. Viele Familien werden durch das Zuhören und Mitsingen bekannter Weihnachtslieder musikalisch eingestimmt und tragen diese Stimmung in ihre Wohnungen. Mehr für die Augen geboten wird in der „Langen Nacht der Musik“, wenn der Durchgang zwischen dem alten und neuen Teil und der Platz rund um das sogenannte Lapidarium mit farbigen Scheinwerfern so illuminiert wird, dass eine fast dramatische Stimmung erzeugt wird.
Gut in Erinnerung ist mir auch noch die große Jubiläumsveranstaltung anlässlich der Feiern zum 850. Stadtgeburtstag im Jahre 2008. Unter dem Titel "Großer Geister Stunde" wurden berühmte Persönlichkeiten wieder lebendig. Im nachts farbig illuminierten Friedhof konnte man sich um Jahrhunderte zurückversetzt fühlen und sich von den „großen Geistern“ dieses Ortes verzaubern lassen.
Derartige Veranstaltungen sind übrigens die einzige Möglichkeit, sich in den Nachtstunden legal im Friedhof aufzuhalten. Denn jeden Abend wird der Friedhof an allen Zugängen von Bediensteten der Friedhofsverwaltung zugesperrt. Dass es aber offensichtlich eine Art Nachtleben im Friedhof gibt, zeigt der Bericht meines Kollegen im Bezirksausschuss Franz Bruckmeir (Jahrgang 1955), der auch seine Kindheit und Jugend im Umfeld des Alten Südlichen Friedhofs verbracht hat:
„Abends trafen sich die Schulfreunde heimlich auf dem Gelände und ließen sich nach Ende der offiziellen Besuchszeit dort „einsperren“. Dazu musste man sich hinter den Grabsteinen verstecken und den Friedhofsaufseher abwarten. Der erschien auf einem Fahrrad und hatte damals noch eine Laterne bei sich. War er vorüber gezogen und der Friedhof zugesperrt, konnte man sicher sein und hatte freie Hand. Sehr beliebt war das Verstecken spielen, der Gruseleffekt war bei Dunkelheit und den alten Grabsteinen garantiert! Etwas Angst hatte man schon, dass sich ein hier begrabener Dauergast gestört fühlen konnte und sich eventuell bemerkbar macht. Die Jugendlichen nutzten die Abgeschiedenheit zum Austausch der ersten schüchternen Bussis. Diese Erfahrung in der beeindruckenden Umgebung war natürlich äußerst aufregend. Damals kursierte bei uns noch die Angst man könnte allein vom Küssen Kinder produzieren.“
In wieweit sich heute - mehr als 40 Jahre später - noch ähnliches ereignet, entzieht sich meiner Kenntnis. Dazu ist es zu dunkel, die Mauern sind zu hoch und die Friedhofsbediensteten schauen heute genauer. Aber wer weiß, ob die Igel und Fledermäuse in der Nacht wirklich ungestört sind und nicht nur die „Großen Geister“ sich nächtlings aus den Gräbern an die frische Luft begeben.
So grüßt der Alte Südliche Friedhof täglich aufs neue und ist für alle Anwohner und Besucher ein Quell vielfältiger Freude.
Hubert Ströhle
Beitrag zur Festschrift von Hubert Ströhle in der Langfassung:
Der 1563 gegründete alte südliche Friedhof wird im Jahr 2013 450 Jahre alt.
Links der Übergang zwischen Alten und Neuen Teil mit neuen Infotafeln zur Geschichte des Friedhofs
Infoftafeln neben dem Lapidarium
Krokusblüte
Eichhörnchen im Alten Südlichen Friedhof
Bärlauchblüte
Mittelgang im Alten Teil mit Sicht auf St. Stefan
Weihnachtsmusik am 24.12. vor St. Stefan
Illumination zu besonderen Anlässen
(Durchgang zwischen altem und neuem Teil)
Illumination am Lapidarium
Blick aus dem Lapidarium
Führungen im Alten Südlichen Friedhof
Brunnen mit Blick auf das Lapidarium
Amsel auf Grabstein
Jahreszeiten erleben beim Blick aus dem Fenster